Weinende Frau
1923
Beispielhaft zeigt die Weinende Frau Barlachs Streben nach Vereinfachung und Monumentalisierung. Mit ihrer bemerkenswert abstrakten und geometrischen Formgebung gehört sie zu den kühnsten Schöpfungen des Bildhauers.
Der tiefe keilförmige Einschnitt in der Körpermitte bestimmt den Gesamteindruck. Er lässt die Figur fragil und verletzt wirken. Ober- und Unterkörper bilden scharfkantige Blöcke, weich hingegen sind die Wölbung des Bauchs und der Schwung der Rückenlinie. Die drastische Darstellung vermittelt einen emotionalen Ausnahmezustand.
Der Bildhauer vollendete die expressive Holzskulptur 1923. Bereits 1906, auf seiner Russlandreise, skizzierte er eine Frauenfigur mit einer ähnlichen Unterschneidung in der Leibesmitte. 1918 tauchte sie erneut in einer Zeichnung auf, die später zur Vorlage für den Holzschnitt Der Untergang wurde. Es ist typisch für Barlach, dass er für seine Skulpturen auch viele Jahre zuvor entstandene Zeichnungen nutzte.
Die Wiederaufnahme des Motivs der Weinenden Frau fiel in eine für den Künstler kritische Lebensphase: er litt unter Depressionen und einer chronischen Herzkrankheit; außerdem verliebte er sich glücklos in eine verheiratete Frau.
Barlach hat die Weinende Frau mit Wachs, Pigmenten und Harzen dunkel getönt. Sie ist aus miteinander verleimten Lindenholzblöcken gearbeitet. Bei genauerer Betrachtung der Oberfläche lassen sich die Blockkanten noch gut erkennen; zum Teil haben sich die Spalten im Laufe der Zeit verbreitert.
Eine lange Reise
Viele Jahrzehnte befand sich die Weinende Frau in amerikanischem Privatbesitz. Der jüdische Sammler Ernst Eichenwald hatte sie 1924 bei Barlachs Kunsthändler Paul Cassirer in Berlin gekauft. 1935 musste Eichenwald nach New York emigrieren, Lieblingsstücke seiner Sammlung konnte er retten, so auch die Weinende Frau. Nach dem Tod seines Sohnes 2011 wurde das Kunstwerk zunächst versteigert.
2015 konnte es für unsere Sammlung erworben werden – 85 Jahre, nachdem es das letzte Mal in Deutschland zu sehen gewesen war.
Werkdaten
- Titel
- Weinende Frau
- Datierung
- 1923
- Reihe, Serie
- –
- Material, Technik
- Holz (Linde) mit getöntem Überzug
- MAßE
- 76 x 21 x 26 cm
- Signatur
- Auf der Plinthe rechts: E Barlach 1923
- Bezeichnung
- Auf der Unterseite (blauer Filzstift): K8
- Sammlungsbereich
- Skulptur und Plastik
- Inventar-Nr.
- P 2015/002
- Werkverzeichnis
- Laur II 0364
- Bemerkung
- –
- Auflage
- –
- Erwerbung
- Als Zustiftung aus Privatbesitz, am 8.7.2015
- Provenienz
- 1924 Paul Cassirer, Berlin
- 1924 Ernst M. Eichenwald, Berlin / New York
- Heinz Felix Eichenwald, Dallas/Texas
- Linda Eichenwald, Dallas/Texas
- Christie´s, New York, Sale 2556, 2.5.2012, Los 461
- French & Company, New York
- Privatbesitz, New York
- 2015 Privatbesitz
- Creditline
- © Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss