Der Wüstenprediger

1912

Der Wüstenprediger

1912

Wie der Sterndeuter und der Sonnenanbeter ist auch der Wüstenprediger eine Figur aus der achaischen Welt der Bibel, mit der sich Barlach seit 1909 in zahlreichen Zeichnungen befasste. Gerade aufgerichtet steht der kräftige Mann auf einer abschüssigen Standfläche und wendet sich mit seiner erregten Rede an eine unsichtbare Zuhörerschaft.

Der Mann ist in ein schlichtes Gewand gekleidet, das die Arme freilässt und in glatten Bahnen bis zu den nackten Füßen herabfällt. Kräftige Riefelungen des Holzes deuten die grobe Struktur des Stoffes an und verweisen so auf die asketische Lebensführung des Predigers. Das breite Gesicht ist von einem dichten Bart gerahmt. Über der gewölbten Stirn ist der Schädel kahl; die seitlichen und hinteren Partien des Kopfes sind von welligem Haar bedeckt. Die aufgerissenen Augen, deren Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet ist, und der sprechend bewegte Mund machen die Intensität des seelischen Erlebens und den Willen zur Mitteilung deutlich.

Dass der Ausdruck des innerlich Geschauten in einer auch anderen Menschen verständlichen Sprache Anstrengung kostet, wird durch die Gebärde unterstrichen: Die nackten Arme sind vor dem Körper angewinkelt; die zur Höhe des Gesichts gehobenen, die zu Fäusten geballt sind, unterstreichen den drohend-beschwörenden Charakter der Rede. Der gesamte Körper des Wüstenpredigers ist von einer kraftvollen Spannung erfasst. Seine in der seitlichen Ansicht erkennbare Neigung und Drehung lässt den geistigen Widerstand spüren, gegen den der Redner angeht. Die Kluft zwischen den Gewissheiten des Inspirierten und den Vorstellungen der Zuhörer scheint groß, vielleicht sogar unüberwindlich zu sein. Hier wird deutlich, dass die Figur des Wüstenpredigers auch als Ausdruck der Erfahrung des Künstlers verstanden werden kann, dess Ruf nach geistiger Besinnung den Mitmenschen exzentrisch erscheint, obwohl er aus einer unvoreingenommenen Perspektive betrachtet »grade als normal gegenüber der sonstigen Normalität...als Aufbäumung gegen Üblichkeit und Banalität« gelten kann (Briefe II, S. 799).

Aus ein Stamm geschlagen

Die bei Barlach aus einem Stamm geschlagenen Figuren wie der Wüstenprediger oder Moses, sind selten. Meist verwendete Barlach verleimte Holzblöcke und trug in einem letzten Arbeitsgang getönte Überzüge auf, welche die ästhetischen Eigenheiten des Holzes mitunter absichtsvoll verdecken.

Werkdaten

Titel
Der Wüstenprediger
Datierung
1912
Reihe, Serie
Material, Technik
Holz (Eiche) ohne Überzug
MAßE
65,2 x 22,5 x 19 cm
Signatur
Auf der Plinthe rechts: EBarlach
Bezeichnung
Nicht bezeichnet
Sammlungsbereich
Skulptur und Plastik
Inventar-Nr.
P 1962/003
Werkverzeichnis
Laur II 0192
Bemerkung
Auflage
Erwerbung
Von Marianne Feilchenfeldt, Zürich, am 2.2.1962
Provenienz
  • 1912 Paul Cassirer, Berlin
  • 1915 Hugo Cassirer, Berlin
  • 1920 Charlotte Fürstenberg-Cassirer, Berlin (später Johannisbur, Südafrika)
  • Dr. Reinhold Hans Cassirer, Johannesburg, Südafrika
  • 1962 Marianne Feilchenfeldt, Zürich
Creditline
© Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss

Werk