Der Sonnenanbeter

1910/11 (Guss von 1930)

Der Sonnenanbeter

1910/11 (Guss von 1930)

Ein halbnackter, in einen ärmellosen Umhang gehüllter Mann steht mit auseinander gestellten Beinen fest auf der Erde und wendet sich in einer empfangsbereiten Haltung zum Himmel. Die an den Körper gelegten Arme sind angewinkelt, die Hände mit den schräg nach oben weisenden Flächen in einer Gebetshaltung zur Schulterhöhe gehoben.

In Erwartung einer Inspiration ist das breite, lebendig modellierte Gesicht, das von den Wellen des vollen Haares und des Bartes gerahmt wird, nach oben gerichtet. Die plastische Konzeption dieser Figur geht zurück auf die biblische Gestalt des Simson, mit der sich Barlach in zwei Zeichnungen von 1910/11 befasste. Das Alte Testament schildert Simson als gottgeweihten, mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Helden, der seine Beharrlichkeit im Kampf gegen die Philister, die Feinde des israelitischen Volks, mit dem Leben bezahlt.

In der Darstellung des Simson, der mit dem antiken Helden Herakles verglichen wurde, verherrlichten die Künstler seit der Renaissance die Schönheit des nackten, männlichen Körpers, dessen harmonische Bildung die Größe des Geistes und damit das Göttliche im Menschen zum Ausdruck bringen sollte.

Barlachs Darstellung verdeutlicht den expressionistischen Einspruch gegen dieses an der Antike orientierte Menschenbild, das noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein für die bildende Kunst verbindlich und auch für Barlach zu Beginn seiner Dresdner Studienzeit noch vorbildlich war. Im pyramidenförmigen Aufbau des Sonnenanbeters wird die ungegliederte Massigkeit des Körpers betont, dessen sichtbare Schwere in einem markanten Gegensatz zur Entrücktheit des Geistes steht, die sich in der offenen, durch Faltenkurven betonten Haltung und im Gesichtsausdruck artikuliert.

 

Ein lebendiges Vorbild

Bei der Gestaltung des sich in mächtiger Leibesfülle aufrichtenden Mannes stand Barlach ein lebendiges Vorbild vor Augen; es war der Dichter Theodor Däubler, den er 1909 in Florenz kennen gelernt hatte. Als Persönlichkeit besaß Däubler eine große Ausstrahlung, die viele Künstler seiner Zeit faszinierte. Auf manche Zeitgenossen wirkte er wie ein Prophet seiner eigenen Dichtung, in der er die Sehnsucht nach einer geistigen Erneuerung des Menschen beschwor.

In seiner Autobiografie Ein selbst erzähltes Leben beschrieb Barlach die Gestalt des Dichters mit Respekt, aber auch mit Ironie als »majestätische, vielpfündige Inkarnation des Däublerschen Sterngeists«.

Die erwähnte Publikation finden Sie in unserem Museumsshop.

Werkdaten

Titel
Der Sonnenanbeter
Datierung
1910/11 (Guss von 1930)
Reihe, Serie
Material, Technik
Bronze mit grünlicher Patina
MAßE
52 x 29,9 x 20,3 cm
Signatur
Auf der Plinthe hinten links: E Barlach
Bezeichnung
Rechts neben der Signatur: 1/10; an der Plinthe links Gießerstempel: H. NOACK / BERLIN FRIEDENAU
Sammlungsbereich
Skulptur und Plastik
Inventar-Nr.
P 1990/001
Werkverzeichnis
Laur II 0158, 1)
Bemerkung
Auflage
Zwei bekannte nummerierte Exemplare 1930, neun nummerierte Exemplare nach 1938
Erwerbung
Von Eike Regul und Wolfgang Sander, Bielefeld, am 23.8.1990
Provenienz
  • [-]
  • Kunstsalon Otto Fischer, Bielefeld
  • 1938 Wolfgang Tümpel, Bielefeld
  • 1939 Herr Westerhausen, Bielefeld
  • Eike Regul und Wolfgang Sander, Bielefeld
Creditline
© Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss

Werk