Der Rächer

1922

Der Rächer

1922

1922 entschloss sich Barlach, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs zunächst in Ton modellierte und dann in Gips abgeformte Figur des Rächers als Holzskulptur zu gestalten.
Mit der Übertragung in das Material Holz verlieh der Künstler einer seiner interessantesten plastischen Erfindungen die gültige Form.

Im Aufbau der Figur folgte er sehr genau den durch das Vorbild gegebenen formalen Lösungen. Gleichwohl erscheint die Aussage durch das größere Format, durch die noch strengere Durchgliederung und Betonung der kantig gegeneinander gesetzten Flächensegmente und nicht zuletzt durch die belebende Maserung des Holzes zu monumentaler Wirkung gesteigert. Im Unterschied zum Vorbild ist das Gesicht in der hölzernen Fassung deutlicher durch Grate und Furchen gegliedert; scharfe Falten führen von der Nase zum geschlossenen Mund und verstärken damit den Ausdruck von seelischer Pein. Barlach hat darauf hingewiesen, dass er im Gesicht seinen »melancholischen Berserkers« Züge eines Porträts von Dr. Kurt Dragendorff, eines Güstrower Bekannten, verarbeitete. Dragendorff war für Barlach in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn, wo die »verschiedensten Stimmmungen durcheinanderwogten« (Briefe II, S. 358), ein nachdenklicher Gesprächspartner gewesen.

Die in Holz geschnitzte Fassung des Rächers entstand 1922, in einer Phase, in der Barlachs künstlerische Arbeit nach eigenem Bekenntnis noch immer ganz vom »Erleben aus Krieg und ›Frieden‹« bestimmt war (Briefe I, S. 676). Symbolisierte die Gestalt des vorwärts stürmenden Schwertkämpfers für den Künstler zu Beginn des Krieges das Hochgefühl des gemeinsamen Einstehens für die gewaltsame Durchsetzung der Rechte der eigenen Nation, so wurde sie im Jahr 1922 zum Sinnbild des Fortwirkens der destruktiven Kräfte in einer als Frieden bezeichneten Zeit, in der der Verkehr der Nationen sowohl auf der Seite der Sieger als auch auf der Seite der Verlierer weiterhin von Forderungen nach Rache und Vergeltung geprägt war. So kann man die Holzskulptur als Verweis auf die Kontinuität eines von Gewalt bestimmten politischen Geschehens und als Ausdruck der Sorge um die Zukunft der menschlichen Gesellschaft verstehen, die die Vergangenheit nicht bewältigt hat und damit den Fluch, die Barbarei des Krieges zu wiederholen, zu erliegen droht.

Werkdaten

Titel
Der Rächer
Datierung
1922
Reihe, Serie
Material, Technik
Holz (Linde) mit getöntem Überzug
MAßE
57,2 x 79 x 29,7 cm
Signatur
Auf der Plinthe rechts: E Barlach / 1922
Bezeichnung
Nicht bezeichnet
Sammlungsbereich
Skulptur und Plastik
Inventar-Nr.
P 1975/001
Werkverzeichnis
Laur II 0349
Bemerkung
Auflage
Erwerbung
Von der Herman Shickman Gallery, New York, am 18.3.1975
Provenienz
  • 1923 Paul Cassirer, Berlin
  • 1923 Slg. Nieberg, Berlin
  • 1926 Dr. Hans Josef Sachs, Berlin
  • 1931 Stadt Berlin
  • 1934-1937 Leihgabe der Stadt Berlin an das Kronprinzenpalais, Berlin
  • 1937 als »entartet« beschlagnahmt durch das Reichsministerium für Volksaufkläung und Propaganda, zugunsten des Deutschen Reiches
  • 1938 Depot Schloß Schönhausen, Lagerung »international verwertbarer« Kunstwerke, EK-Nr. 12386
  • 1939 Galerie Theodor Fischer, Luzern, Auktion »Gemälde und Plastiken moderner Meister aus deutschen Museen«, 30. Juni 1939, Los 3 (kein Zuschlag)
  • 1939 Buchholz Gallery - Curt Valentin, New York
  • 1939 Herman Shulman, New York
  • 1957 George P. F. Katz, Great Neck/NY
  • 1972 Hertha Katz, Great Neck/NY
  • 1973 Herman Shickman, New York
Creditline
© Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss

Werk