Der Mann im Stock

1918 (Guss zwischen 1938 und 1942)

Der Mann im Stock

1918 (Guss zwischen 1938 und 1942)

In der Darstellung des gemäß mittelalterlicher Folterstrafe gefesselten und an den Pranger, das heißt zur Schau gestellten Mannes fand Barlach eine radikale Formulierung für das Gefühl, sich zu einer sowohl auf die Allgemeinheit als auch auf die eigene Person bezogenen Situation der Ohnmacht, der Entwürdigung und des Schuldigseins bekennen zu müssen.

Der sitzende Mann ist durch ein rechteckiges Joch, das den Kopf und die erhobenen Hände umschließt, zu absoluter Bewegungslosigkeit verurteilt. Die leicht geöffneten Hände und der zum Himmel gerichtete Blick des Mannes drücken seine vollständige Wehr- und Hilflosigkeit aus. Die in der Stellung der Beine und Arme angedeutete körperliche Aufrichtung wird durch die schräg stehende Fläche der wuchtigen Platte hart abgeschnitten und umgelenkt in die Abwärtsbewegung der kantig gebrochenen Gewandfalten.

Ein Ausgleich von seelischen und körperlichen Regungen ist diesem Menschen nicht möglich; die einzige Chance, frei zu werden, besteht für ihn darin, den Zustand der Bestrafung und Entehrung geistig anzunehmen und zu bewältigen.

Wie viele andere Künstler sympathisierte Barlach seit 1916 zunehmend entschiedener mit kulturellen Initiativen zur Förderung einer Ernst gemeinten Verständigungs- und Friedensbereitschaft im deutschen Volk, ohne sich dabei eindeutig von der patriotischen Parteinahme für die eigene Nation und für ihre idealisitsch verklärten Ziele zu distanzieren. Unfähig, die militärischen Berechnungen der kriegführenden Nationen in ihrer unerbittlichen Logik zu durchschauen, und ratlos hinsichtlich der Frage, wie dem Andauern der Vernichtung von Menschenleben Einhalt geboten werden könnte, steigerte sich Barlachs Gefühl der Hilflosigkeit im letzten Kriegsjahr mitunter zur totalen Verzweiflung über den als »Weltkatastrophe« erlebten Krieg (Briefe I, S. 510).

Die Menschen schienen ihm zu ohnmächtigen Marionetten degradiert und alle Versuche einer lebensbejahenden Sinngebung der menschlichen Existenz zum Scheitern verurteilt zu sein.

Bronze war rar

Vermutlich beauftragte Barlachs Vertrauter und Kunsthändler Bernhard Böhmer die Güsse um 1942 bei der Gießerei Richard Barth in Warendorf. Damals durfte Barlachs Gießerei Noack keine Bronzegüsse mehr herstellen (nur Zinkgüsse), da Bronze Rüstungszwecken diente.

Kleinere Gießereien wie die von Heinrich Barth hatten in dieser Hinsicht mehr Freiheit.

Werkdaten

Titel
Der Mann im Stock
Datierung
1918 (Guss zwischen 1938 und 1942)
Reihe, Serie
Material, Technik
Bronze mit dunkelbrauner Patina; gegossen in der Gießerei Richard Barth, Warendorf
MAßE
35,2 x 22,7 x 23,7 cm
Signatur
Hinten links: E Barlach
Bezeichnung
Auf der Plinthe hinten mittig Gießerstempel: Guss BARTH WARENDORF
Sammlungsbereich
Skulptur und Plastik
Inventar-Nr.
P 1977/008
Werkverzeichnis
Laur II 0267, 1)
Bemerkung
Auflage
Drei nummerierte Exemplare 1938-1942 von Gießerei Richard Barth, Warendorf, neun nummerierte Exemplare seit 1942 von Bildgießerei Hermann Noack, Berlin
Erwerbung
Von Reinhold C. Vester, Düsseldorf, am 11.11.1977
Provenienz
  • [-]
  • Dr. Wilhelm Schneider, Aachen
Creditline
© Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss

Werk