Das Wiedersehen (Thomas und Christus)
1926
Das Wiedersehen zeigt Christus – zu erkennen an den Wundmalen an Händen und Füßen – und den Apostel Thomas. Ernst Barlach bezieht sich auf eine Szene aus der Bibel: Der ungläubige Thomas hat an der Auferstehung Christi gezweifelt, nun steht der am Kreuz Gestorbene leibhaftig vor ihm.
Barlach wählt ein in der christlichen Kunst verbreitetes Bildthema, interpretiert es aber eigenwillig. So sehen wir Thomas in der Regel, wie er in Christus‘ Seitenwunde fasst: er glaubt nur, was er fühlen kann und gelangt nur so zur Gewissheit. Barlachs Thomas tut das nicht. Er rückt ganz nah an Christus heran. Hat er ihn erkannt, ohne die Wunde zu prüfen? Ist Thomas vom Ungläubigen zum Gläubigen geworden? Sein fragender Blick und seine Haltung lassen Zweifel aufkommen.
Barlachs Darstellung des auferstandenen Christus ist ungewöhnlich. Der hagere Mann im schlichten Gewand mit gefurchter Stirn, tiefen Augenringen und hervortretenden Wangenknochen gleicht eher einem leidgeprüften Menschen. Christus muss seinem Gegenüber buchstäblich unter die Arme greifen. Wie Hilfe suchend schaut Thomas zu Christus empor. Der verweigert ihm den Blickkontakt, wahrt Distanz, auch wenn sich die Gesichter fast berühren.
Barlach geht es nicht um die bloße Illustration der im Johannes-Evangelium beschriebenen Szene, deshalb wählte er selbst den verallgemeinernden Werktitel Das Wiedersehen. Wie so häufig dienen dem Künstler auch hier biblische Gestalten und Themen, um Bedingungen des Menschseins wie Sterblichkeit, Abhängigkeit und Unfreiheit ins Bild zu setzen – die conditio humana. Thomas ist zuallererst ein bedürftiger, Trost und Antworten suchender Mensch, der andere braucht, doch am Ende auf sich selbst zurückgeworfen ist.
Bereits im Jahr ihrer Entstehung 1926 erwarb das Landesmuseum in Schwerin die Mahagoni-Skulptur. 1937 wurde sie von den Nationalsozialisten als „entartet“ beschlagnahmt. Während eine Bronzeversion in der Propaganda-Schau Entartete Kunst ausgestellt wurde, kam das Exemplar aus Holz in ein „Depot für international verwertbare Kunst“ in Berlin. Mit Hilfe von Bernhard Böhmer, Barlachs langjährigem Assistenten, der als Kunsthändler mit den Nationalsozialisten kooperierte, konnte das Werk gerettet werden. Barlach nannte Böhmer einmal „mein(en) guten und mein(en) böse(n) Engel“. Dieser vermittelte Das Wiedersehen 1939 an Hermann F. Reemtsma. Damit war ein Hauptwerk Barlachs dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen und kann heute in unserer Sammlung präsentiert werden
Barlach schreibt darüber...
Dieses bedeutende Werk entstand in einer Zeit, in der sich Barlach dank der intensiver werdenden Freundschaft mit Marga Böhmer, seiner künftigen Lebensgefährtin, in der provinziellen Enge seines Lebens in Güstrow endlich heimisch zu fühlen begann und voller Tatkraft neuen künstlerischen Herausforderungen entgegensah.
Werkdaten
- Titel
- Das Wiedersehen (Thomas und Christus)
- Datierung
- 1926
- Reihe, Serie
- –
- Material, Technik
- Holz (Sapeli-Mahagoni) mit getöntem Überzug
- MAßE
- 90 x 38 x 25 cm
- Signatur
- Auf der Plinthe vorne rechts: E Barlach 1926
- Bezeichnung
- Nicht bezeichnet
- Sammlungsbereich
- Skulptur und Plastik
- Inventar-Nr.
- P 1939/001
- Werkverzeichnis
- Laur II 0392
- Bemerkung
- –
- Auflage
- –
- Erwerbung
- Als Stiftung von Hermann F. Reemtsma, Hamburg, 1962
- Provenienz
- Paul Cassirer, Berlin
- 1926 Landesmuseum Schwerin
- 1937 als »entartet« beschlagnahmt durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, zugunsten des Deutschen Reiches
- 1938 Depot Schloß Schönhausen, Lagerung »international verwertbarer Kunstwerke«, EK-Nr. 11247
- 1939 Bernhard A. Böhmer, Güstrow
- 1939 Hermann F. Reemtsma, Hamburg
- Creditline
- © Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss